Als Fotos noch Luxus waren

In der alten Schule von Beidenfleth erlebt der Besucher eine Reise durch die Entwicklung der Fotografie. Dort begegnen ihm namhafte Marken wie Agfa, Zeiss-Ikon, Kodak, Minox und viele andere: Mit 750 Analog-Kameras zeigt Andreas Lorenz die zweitgrößte Sammlung dieser Art in Deutschland.

So viel steht fest: „Digital“ gibt es nicht in den Ausstellungsräumen, die einst die Schule und später die Büche- rei der 900-Einwohner-Gemeinde an der Stör beherbergte. Weder USB-Anschlüsse noch Autozoom, kaum Elektronik. „Die alten Kameras funktionierten ja sogar ohne Batterien. Ich zeige die Entwicklung der Apparate über 140 Jahre, bevor Digitalkameras die alten Filmfotoapparate verdrängten“, berichtet Andreas Lorenz. In knapp 30 Jahren Sammelleidenschaft hat der 54-Jährige, der von Beruf Zollbeamter ist, 2100 funktionsfähige Geräte zusammengetragen. Ende 2011 erhielt er von der Gemeinde in den Räumen der alten Schule ein Ausstellungsrefugium. Es ist längst zu klein, nur gut ein Drittel seiner knip- senden Schätze kann er hier zeigen. Und das Schönste an der Geschichte: „Ich selbst fotografiere eigentlich nicht. Mein erstes Stück habe ich mir zum Spaß auf dem Flohmarkt gekauft, um es als Dekoration in die Schrankwand zu stellen. Ich bekam die alte Klappkamera von Kodak für fünf Mark“, berichtet Lorenz. Dann kam eine weitere und noch eine vom Flohmarkt. Und dann begannen mir Freunde ihre alten Stücke zu vermachen. Irgendwann bekam ich einen Katalog mit alten Kameras in die Hand und entwickelte den Ehrgeiz, alle 600 Oldies zusammenzubekommen.“

Es sind schließlich viel mehr geworden. Selbst die uralten Plattenkameras von der Größe eines Röhrenfernse- hers hat der Sammler aus den Anfängen zusammengetragen: Deutsche und amerikanische Modelle sind darunter, auch sein liebstes Stück: Die englische Sanderson Handkamera aus den Jahren um 1890 ziert im ersten Ausstellungsraum einen alten Sekretär. Daneben: Fotoalben aus den 1930er-Jahren, in denen die Besucher schwelgen können. „Die alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen habe ich von Familien aus der Wilstermarsch bekommen. Sie zeigen, wie die Menschen damals stolz im Wohnzimmer, im Garten oder vor dem geschmückten Weihnachtsbaum posiert haben. Vor dem Krieg war eine Fotokamera noch Luxus“, weiß Lorenz.

Doch diesen Luxus kann die Sammlung für die wichtigsten Kameramarken chronologisch zeigen: Die rund 100 Kodak aus deutscher und amerikanischer Fertigung füllen eine ganze Wand und nehmen den Besucher mit auf eine technische Zeitreise von 1895 bis 1985. Dann folgen die legendären Zeiss-Ikon-Kameras jener Kultfirma, die sich in einen ost- und einen westdeutschen Ableger aufspaltete, aber bis heute treue Fans hat. Etwa 80 Agfa-Kameras sind zu sehen, schwere Teile wie die Billy Record aus den 50er-Jahren. „Viele Besucher nehmen die Stücke in die Hand und schwelgen dann in Erinnerungen, weil sie oder die Eltern mit dieser oder jener Kamera geknipst haben.“ Andreas Lorenz lässt sie gewähren. „Die Apparate sind ja robust. Deshalb ist Anfassen ausdrücklich erlaubt.“

Am Lichttisch mit den Glasnegativen bleibt der Sammler stehen: Paare mit strengen Gesichtern, die Männer mit Kaiser-Wilhelm-Bart, der Christbaum in der guten Stube: „Diese Schnappschüsse zeigen die 30er-Jahre – sie sind alle Schenkungen von Menschen hier aus der Region.“ Natürlich steht im Nebenraum auch ein Entwickler mit den chemischen Flüssigkeiten, die man früher so brauchte, als die Bildqualität noch nicht in „Pixel“ gemessen wurde.

Neben den kleinen Juwelen von Braun, Voigtländer sind auch kuriose Apparate zusehen: „Mit der Frontbox des Dresdner Herstellers Balda fotografierten die Soldaten während des Krieges – und dokumentierten damit unbewusst das schreckliche Geschehen für die Nachwelt.“ Natürlich hat Lorenz auch die Minikamera von James Bond da, die berühmte Minox. Manche der Miniapparate sind so überschaubar, dass drei von ihnen auf die Handfläche des Sammlers passen.

Skurril mutet auch die „russische Ecke“ an, in der perfekte Markenfälschungen der edlen Westkameras versammelt sind. Die ganz hübschen, preiswerten DDR-Kameras („P56 Export“) verkauften sich in westdeutschen Kaufhäusern ganz gut, erzählt der Kenner. Auch die primitiv konstruierte „Vrede Box“ des niedersächsischen Herstellers Vredeborch steht hier im Regal. „Sie gab es für 12.90 Mark Anfang der 50er-Jahre.“ Gar nicht handlich wirken im Gegensatz dazu die „Reisekameras“, die ab 1875 das Leben der Menschen auf die Platte bannten. „Fotografen mit diesen großen schweren Kisten wurden für besondere Anlässe extra bestellt – etwa zur Hochzeit oder für den Abschied mit Uniform an die Front.“ Dass viele (deutsche) Hersteller die Übermacht aus Japan und den Siegeszug der digitalen Technik nicht überlebten, beweisen die Zeitungsdokumente an der Museumswand, die gerade erst zwei Jahre alt sind: Der Fotopionier Kodak musste Insolvenz anmelden und konnte erst kürzlich in deutlich abgespeckter Form weitermachen. Umso mehr Wert bekommt der historische Schatz in Beidenfleth. Er bewahrt die Technik, die unsere Welt 140 Jahre lang auf Fotopapier dokumentierte.